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Schweizer Retailbanken geraten verstärkt unter Druck

Den im Retailkundengeschäft tätigen Banken geht es nach wie vor gut. Neue Entwicklungen stellen die dominierenden Geschäftsmodelle aber in Frage. Dazu zählt das Open Banking.

Traditionelle Schweizer Retailbanken bedienen in erster Linie Privatkunden und KMU und bieten vor allem standardisierte Dienstleistungen an; das reicht vom Zahlungsverkehr über Anlagevarianten bis hin zur Finanzierung. Die dominierenden Marktakteure im Retailbanking sind neben den Grossbanken die Kantonal- und Raiffeisenbanken. Sie sind verglichen mit ihrer europäischen Konkurrenz in einem sehr attraktiven Marktumfeld tätig, das sich durch den robusten Binnenmarkt auszeichnet. Doch nun erwarten sie tiefgreifende Veränderungen im Markt.

Eigenheiten des Schweizer Marktes verschwinden

Was die unterschiedliche historische Entwicklung von Schweizer und europäischen Retailbanken anbelangt, so stechen drei Hauptfaktoren hervor: Erstens das hohe Geschäftsvolumen von rund 150’000 Franken pro Kunde, das im Schnitt zu einem jährlichen Betriebsgewinn von satten 550 Franken führt. Im europäischen Vergleich bewegen sich die Gesamtgeschäftsvolumina je Kunde zwischen 30’000 und 60’000 Euro, und der Betriebsgewinn liegt zwischen 150 und 350 Euro. Der zweite Faktor ist der Boom am Schweizer Hypothekenmarkt, der den Schweizer Banken in den letzten zwei Jahrzehnten ein beständiges Ertragswachstum beschert hat. Der dritte Unterscheidungsfaktor ist die grosse Markentreue der Kundschaft. Kundinnen und Kunden haben eine enge Beziehung zu ihrer jeweiligen Hausbank und sind kaum bereit, die Bank zu wechseln. Wie die Studie «Future of Retail Banking» des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Deloitte zeigt, verändern sich diese Faktoren aber und führen mittelfristig zu grossen Herausforderungen im hiesigen Retailbankenmarkt. Angesichts der aktuellen Unsicherheiten und Veränderungen am Bankenplatz Schweiz steigt die Wechselbereitschaft der Bankkundschaft tendenziell an – eine Chance für Retailbanken, die nun rasch handeln.

Strukturelle Veränderungen gefährden die Erträge

Für Schweizer Retailbanken wird es schwieriger, das hohe Niveau bei Rentabilität und Wachstum aufrechtzuerhalten, ist Cyrill Kiefer, Leiter Banking von Deloitte Consulting Schweiz, überzeugt. Gründe dafür sieht er in der Umstellung von Gesellschaft und Wirtschaft auf «Netto-Null» Emissionen, im höheren Reifegrad des Marktes, in der zunehmenden Sättigung des Wohnimmobilienmarktes, in der Überalterung der Kundenbasis sowie im wachsenden Bedarf der Kundschaft an funktionalen «End-to-End» Lösungen der gebotenen Bankdienstleistungen.

Neo-, Challenger- und Nichtbanken steigen ein

Eine weitere Herausforderung stellen die aufkommenden Neo- und Challenger-Banken dar. Sie bieten mit ihren ausgeklügelten digitalen Bankbetriebsmodellen ein besseres Erlebnis für die Kundschaft – und auch noch zu geringeren Kosten. Auch kapitalkräftige Nichtbanken (NBFI) werden bei einigen Kernbankdienstleistungen vermehrt zur ernsthaften Konkurrenz. Dazu zählen vor allem Versicherungsunternehmen und Pensionskassen. Verschiedene NBFI sind in den letzten Jahren in das attraktive Hypothekengeschäft für Retailkunden eingestiegen und arbeiten zu diesem Zweck mit unabhängigen Maklerinnen und Maklern und Anbietern von Kreditplattformen zusammen. Auch werden die NBFI versuchen, ihren Marktanteil bei weiteren Finanzdienstleistungen wie beispielsweise der Finanzberatung und Vermögensverwaltung zu erhöhen.

Open-Banking konkurrenziert Bankenmodell

Das traditionelle Geschäft von Schweizer Banken steht vor einem grundlegenden Wandel. Das Zauberwort heisst «Open Banking». Damit wird es möglich, separate Services von Banken und anderen Dienstleistern auf digitalen Plattformen zusammenzuführen und den Kundinnen und Kunden als Gesamtpaket anzubieten. Der Aufbau dieser neuen Ökosysteme wird vor allem durch agile FinTech Unternehmen vorangetrieben, die Inhalte und Angebote sammeln, aufbereiten und zur Verfügung stellen.

«Angesichts der sich verändernden Bedürfnisse und Erwartungen der Kundschaft, neuer Interaktionsmodelle, der zunehmenden Zersetzung der Wertschöpfungsketten und der technologischen Fortschritte müssen Retailbanken neue Strategien für den Umgang mit den entstehenden Ökosystemen und ihrer Positionierung darin entwickeln», führt Kiefer weiter aus und ergänzt: «Die Banken sollten sich von der klassischen Strategieplanung verabschieden und viel stärker in Szenarien denken. Nur so können sie langfristig überleben.» Deloitte hat dazu vier Szenarien bezüglich der zukünftigen Entwicklung des Marktes entworfen.

Massnahmen helfen bei der Zukunftsbewältigung

Schweizer Retailbanken müssen je nach Szenario und ihrer Position darin rasch wichtige strategische Entscheidungen treffen. Sie haben dabei grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Sie können entweder innovative und attraktive Produkte entwickeln und anbieten, oder sie konzentrieren sich darauf, Kundenkanäle und -beziehungen zu verwalten. Zudem müssen sie sich Gedanken darüber machen, wie sie die Elemente des traditionellen Bankings mit den Dienstleistungen aus einem breiteren Ökosystem zusammenführen können.

«Um die geschäftliche Flexibilität zu erhöhen, und die Innovation und das Wachstum zu fördern, müssen Retailbanken den Blick von innen nach aussen richten. Sie sollten sich besser auf externe Partnerschaften und Kooperationen konzentrieren, anstatt sich mit internen Praktiken und Richtlinien zu befassen», rät Kiefer. Auch werde die Digitalisierung im laufenden Jahrzehnt ein unverzichtbarer Erfolgsfaktor sein. Und er ergänzt: «Dies erfordert aber mehr, als mit den aktuellen technologischen Trends Schritt zu halten. Denn der Kunde erwartet heutzutage das Beste beider Welten: eine personalisierte Interaktion gepaart mit den Vorteilen eines digitalen Angebots.»

Über die Studie

Die Studie «Future of Retail Banking» basiert auf öffentlich zugänglichen Daten der untersuchten Unternehmen sowie verschiedenen Studien und weiterführenden Angaben von Verbänden und Behörden. Die darauf basierenden Analysen wurden von Expertinnen und Experten von Deloitte erarbeitet.

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